#99 - Innere Anteile beim Lernen

„Es gibt in jedem von uns viele Stimmen – und manchmal verwechseln wir uns mit ihnen.“

 

Kennst du das, wenn du eigentlich lernen willst, aber eine innere Stimme dich bremst oder antreibt? Da gibt es häufig den „Perfektionisten“, der alles genau richtig machen will oder auch den „Aufschieber“, der am liebsten morgen anfängt … oder übermorgen – und dann aber richtig! Diese Stimmen sind völlig normal und gehören zu uns allen.

 

Aber auch wenn wir manchmal sagen „Ich bin ein Perfektionist“ oder „Ich bin ein Aufschieber“, sind diese Aspekte nicht wir selbst als ganze Person, sondern nur Anteile unserer Persönlichkeit, die zu bestimmten Zeiten lauter oder leiser werden.

 

Daher sollten wir uns auch nicht mit ihnen „verwechseln“, sondern lernen, diese Stimmen bewusst wahrzunehmen und zu verstehen, was hinter ihnen steckt. Denn jede dieser Stimmen hat ihre eigenen Bedürfnisse, Ängste und Kompetenzen und wenn wir uns dafür interessieren, was sie ausdrücken wollen, können wir mit ihnen arbeiten, statt gegen sie anzukämpfen. So hören wir auf, uns selbst zu sabotieren, und gewinnen Zugang zu neuen Ressourcen.

 

Die Arbeit mit inneren Anteilen

 

Doch was möchte zum Besipiel der Perfektionist, wenn er dir zuflüstert: „Das muss perfekt sein! Ein Fehler und alles ist umsonst“? Möglicherweise möchte er dir Sicherheit geben und dafür sorgen, dass nichts dem Zufall überlassen wird. Seine Kompetenz liegt in seiner Genauigkeit und seinem Sinn für hohe Standards. Aber wenn er zu dominant wird, kann er dich lähmen. Lass ihn dort unterstützen, wo Präzision gefragt ist – und erinnere ihn daran, dass nicht alles perfekt sein muss.

 

Und auch hinter der scheinbaren Trägheit des „Aufschiebers“ verbirgt sich oft ein wichtiges Bedürfnis, nämlich nach Schutz vor Überforderung oder vor unangenehmen Gefühlen. Der Aufschieber erinnert dich daran, dass Lernen nicht nur Disziplin, sondern auch Leichtigkeit braucht. Indem du dir Teilziele setzt und positive Anreize schaffst, machst du ihn zu deinem Verbündeten – statt ihn das Steuer übernehmen zu lassen.

 

Unsere innere Truppe: Typen, Bedürfnisse und Kompetenzen

 

Aber neben Perfektionist und Aufschieber gibt es noch viele weitere innere Stimmen. Daher sind hier ein paar typische Vertreter, jeweils mit ihren möglichen Bedürfnissen und den – vielleicht versteckten – Kompetenzen. Natürlich ist die Liste nicht vollständig, denn schließlich hat jeder Mensch eine ganz eigene innere ‚Truppe‘, die auf unterschiedliche Weise in Erscheinung treten kann.

  1. Der Perfektionist

     

    • Typischer Satz: „Das muss perfekt sein! Ein Fehler und alles ist umsonst!“

    • Bedürfnis: Sicherheit und Kontrolle

    • Kompetenz: Genauigkeit und hohe Standards

     

  2. Der Innere Kritiker

     

    • Typischer Satz: „Du bist nicht gut genug. Du schaffst das nicht.“

    • Bedürfnis: Schutz vor Kritik oder peinlichen Situationen

    • Kompetenz: Selbstreflexion und Fehlererkennung

     

  3. Der Aufschieber

     

    • Typischer Satz: „Ich mach’s später. Erst muss ich noch kurz …“

    • Bedürfnis: Schutz vor unangenehmen Gefühlen oder Überforderung

    • Kompetenz: Fokus auf Erholung und positive Erlebnisse

     

  4. Der Zweifler

     

    • Typischer Satz: „Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?“

    • Bedürfnis: Klarheit und Orientierung

    • Kompetenz: Kritisches Denken und Risikoabwägung

     

  5. Der Rebell

     

    • Typischer Satz: „Warum muss ich das machen? Das ist doch total überflüssig!“

    • Bedürfnis: Freiheit und Unabhängigkeit

    • Kompetenz: Mut zur Veränderung und kreative Problemlösung

     

  6. Der Forscher

     

    • Typischer Satz: „Das ist spannend! Was steckt dahinter?“

    • Bedürfnis: Neugier und Wissenserweiterung

    • Kompetenz: Kreativität und Entdeckergeist

     

  7. Der Entspannte

     

    • Typischer Satz: „Entspann dich, das wird schon alles. Kein Grund zur Eile.“

    • Bedürfnis: Ruhe und Stressvermeidung

    • Kompetenz: Gelassenheit und Stressresistenz

 

Warum diese Arbeit so wertvoll ist

 

Indem du lernst, mit diesen inneren Stimmen zu arbeiten, kannst du ihre Kompetenzen gezielt für dich einsetzen. Der Perfektionist wird zum verlässlichen Begleiter bei anspruchsvollen Aufgaben, der Forscher motiviert uns durch Neugier, und der Entspannte sorgt dafür, dass wir nicht in Stress versinken. Selbst schwierige Stimmen wie der Innere Kritiker oder der Aufschieber haben ihre Berechtigung: Sie können uns helfen, innezuhalten und nachzudenken, ob wir auf dem richtigen Weg sind – solange wir ihnen nicht die volle Kontrolle überlassen.

 

Durch diese Arbeit wird unsere innere Truppe zu einem echten Team, das uns nicht nur beim Lernen, sondern auch in anderen Lebensbereichen unterstützt.

 

Fragen an dich:

  • Welche dieser Stimmen erkennst du bei dir?

  • Welche Stimme meldet sich bei dir besonders laut?

  • Und welche Stimme möchtest du stärker einbeziehen, um deine Ziele zu erreichen?

Mit dieser Reflexion kannst du starten, deine inneren Begleiter zu verstehen und sie bewusst für deine Ziele einzusetzen!

 

Ein wichtiger Hinweis: Die Arbeit mit inneren Anteilen ist ein bewährtes Konzept aus der Psychologie und wurde unter anderem von Friedemann Schulz von Thun fürs Coaching adaptiert. Sie kann helfen, Blockaden zu lösen und neue Ressourcen zu aktivieren. Wenn du jedoch merkst, dass dich bestimmte innere Stimmen besonders blockieren oder die Reflexion dir schwerfällt, kann es sinnvoll sein, mit einer professionellen Unterstützung, wie einem Coach oder Therapeuten, darüber zu sprechen.